Kaffee mit Markus Gross, Professor für Computergrafik
Ein Artikel von Martin Gollmer - erschienen in Finanz und Wirtschaft, 26. September 2020
Markus Gross ist ein vielbeschäftigter Mann. Er hat an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) seit 1994 eine Professur für Informatik inne und unterrichtet regelmässig Studenten in Vorlesungen und Seminaren. Ebenfalls seit 1994 leitet er das Computer Graphics Laboratory (CGL) an der ETHZ. Er ist seit 2008 Direktor von Disney Research Studios (DRS) und ihren Vorläufern in Zürich. Er fungiert als Mitgründer mehrerer Start-ups; in zwei davon sitzt er im Verwaltungsrat. Und seit dem vergangenen Sommer ist er auch noch Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die jedes Jahr die Film-Oscars vergibt.
«Es stimmt, ich arbeite viel, so fünfzig bis sechzig Stunden die Woche», sagt der 57-jährige Gross. «Aber es belastet mich nicht, denn ich liebe, was ich mache.» Zudem habe er gute Leute um sich herum, die ihm viel Administrativarbeit abnehmen würden. In seiner Doppelfunktion kann er überdies auf zwei persönliche Assistenten zurückgreifen.
Wir treffen Gross im Café 1842 der Conditorei Schober im Zürcher Niederdorf. Gross trinkt einen Kaffee und isst ein Erdbeertörtchen mit Schlagrahm. «Ich bin ein grosser Kaffeefan», sagt er. Die «Droge» habe ihn früher durch sein Studium gebracht, jetzt bringe sie ihn durch seinen Beruf. Jeden Morgen trinkt er zwei, drei Cappuccini und liest Zeitung dazu. Dann geht er arbeiten. Weitere Kaffees folgen im Lauf des Tages.
Gross’ Arbeitsgebiet sind die Computergrafik und die Computeranimation. Auf diesen Gebieten hat er eigene Forschungen zu Anwendungen in Film und Fernsehen gemacht. Heute sei es seine Hauptaufgabe, «eine Forschungsvision zu entwickeln»: Welche Projekte sollen durchgeführt werden? Welche Themen sollen verfolgt werden? Zudem managt er die Beziehungen zwischen Disney Research Studios und der ETHZ. Zwischen den beiden Institutionen besteht ein Kooperationsvertrag.
DRS in Zürich ist eine von zwei Forschungseinrichtungen des US -Medienkonzerns Walt Disney. In Zürich wird für Film und Fernsehen geforscht, bei Disney Research Los Angeles, dem zweiten Lab, für Freizeitparks und Konsumprodukte. Zürich sei als Forschungsstandort gewählt worden, weil hier mit der ETHZ «eine der besten technischen Hochschulen der Welt» ansässig sei, erklärt Gross. Auch sei an der ETHZ schon zu den Gebieten geforscht worden, die Disney interessieren. Zudem weise Zürich eine hohe Lebensqualität und Internationalität auf.
Bei DRS in Zürich mit ihren gut fünfzig Mitarbeitern ist ein System entwickelt worden, mit dem menschliche Gesichter hochpräzise mit dem Computer digitalisiert, modelliert und modifiziert werden können. Das ermöglicht es, dass etwa der damals 76-jährige Robert De Niro im Film «The Irishman» auch als junger Mann auftreten konnte. Für die Erfindung dieses Systems haben Gross und sein Team 2019 den Tech-Oscar erhalten. Schon vorher, 2013, gab es einen Tech-Oscar für die Entwicklung einer Technik zur Simulation von Explosionen in Filmen.
Auch am Computer Graphics Laboratory (CGL) stehen die Digitalisierung, die Modellierung und die Modifizierung von menschlichen Gesichtern am Computer im Vordergrund. Während bei DRS in Zürich aber für Anwendungen in Film und Fernsehen geforscht wird, geht es im CGL vorwiegend um Grundlagenforschung und um Medizin. Hier arbeitet Gross beispielsweise an einer neuen computergestützten Methode, um bei Babys die Mund-Gaumen-Spalte – eine Fehlbildung, die auch Hasenscharte genannt wird – durch eine Operation perfekt schliessen zu können. Das CGL zählt rund zwanzig Beschäftigte.
Die innovativen Arbeiten von Gross und seinen Mitarbeitern in Computergrafik und -animation für Film und Fernsehen dürften der Grund sein, weshalb der Professor diesen Sommer in die prestigereiche Academy of Motion Picture Arts and Sciences eingeladen wurde. Mitglied dieser Hollywood-Organisation werden vorwiegend Regisseure, Schauspieler und weitere Personen, die sich um das Filmgeschäft verdient gemacht haben. Dass er als Wissenschaftler jetzt in die Academy aufgenommen worden ist, empfindet Gross als «grosse Ehre».
Er kann nun mitbestimmen, wer 2021 einen Oscar erhält. Gross, der privat und beruflich ohnehin schon viele Filme schaut, muss sich nun noch mehr Streifen ansehen. «Das wird mich den Winter über ganz schön beschäftigen», sagt er. Bei seiner Jurorentätigkeit will sich Gross auf die Kategorien «Best Picture», «Best Special Effects» und «Best Actor/Actress» konzentrieren. Sein Lieblingsfilm ist «Casablanca» aus dem Jahr 1942 mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in den Hauptrollen. Auch die Werke von Regisseur Quentin Tarantino (u. a. «Pulp Fiction» und «Once Upon a Time in Hollywood») haben es ihm angetan.
Gross ist im Saarland aufgewachsen, 1994 kam er in die Schweiz, seit 2008 besitzt er auch den roten Pass. «Deutschland verdanke ich meine Ausbildung, der Schweiz meine wissenschaftliche Karriere», sagt er und fügt an: «Die Schweiz ist meine Heimat geworden.» Gross ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Obwohl vielbeschäftigt, pflegt er Hobbys wie Klavierspielen oder Motorradfahren. Zwei Mal im Jahr macht er mit seiner BMW GS 1250 eine grössere Töfftour.